Anfängliche Herausforderungen

Veröffentlicht am 9. September 2024 um 17:09

Ich bin einigen Herausforderungen gegenübergestellt. Nach der Honeymoon-Phase setzt die Realität ein. Womit habe ich zu kämpfen und wie geht es weiter?

Puh, wo fange ich nun an? Ich versuche mit diesem Eintrag einen Einblick in meine momentanen Herausforderugen zu geben. Die letzten Einträge waren geprägt von Geschichten, die außerhalb von mir geschehen sind. Das heißt wilde Abenteuer und Begegnungen, die einen mitreißen können. Und das sind (meiner Erfahrung nach) auch meistens die, die die meisten Leute interessiert und erreichen. Für mich ist es aber fast noch wichtiger während der äußeren Reize und Erlebnisse in mich hineinzuhören. Zumindestens wenn ich dafür die Kraft, Energie und den Horizont dafür aufbringen kann. Und da sind wir glaube ich momentan auch am springenden Punkt - ich habe momentan nicht die gerade genannten Ressourcen, wie ich es sonst von mir gewohnt bin, um mich tiefgründig und gleichzeitig voller Freude und Neugier, Themen hinzugeben. Ich befinde mich momentan in einer gewissen Lethargie, die ich von mir lange Zeit nicht mehr erlebt habe. Und dafür gibt es Gründe, die ich hier erläutern möchte. Es wird euch also keine reißerische Geschichte oder ein ausgefallenes Bild erwarten. Ihr dürft euch jedoch, wie so häufig, ein eigenes Bild machen.


Das Gewicht der Wörter

Womit ich hier tatsächlich schwer zu kämpfen habe, ist ein großer kultureller Unterschied, bei dem die Kluft dazwischen vermutlich nicht größer sein könnte: Das Gewicht der Wörter. Ich versuche es euch zu erklären: Fangen wir im Kleinen an. Ungezwungene Gespräche mit Einheimischen enden meistens mit einer netten Versprechung zur Verabschiedung. "Ich bringe euch morgen ein paar Bananen", "Ich komme später auch zum Sportplatz", "Ich bringe euch so viel zu essen, dass ihr nicht mehr laufen könnt" und so weiter. Ich kann an einer Hand abzählen wie häufig solche Sätze eingehalten wurden. Überhaupt nicht schlimm, man freut sich wenn es so kommt und gut ist. Kritischer wirds jedoch, wenn es um zeitliche Planungen geht. Es kam vor, dass wir zwei bis drei Stunden vor Spielanpfiff am Fußballfeld auf unsere Mannschaft gewartet haben, weil wir eben zur vereinbarten Uhrzeit da waren. Es war und ist bislang aber jedes Mal eine Herausforderung, den richtigen Moment zu erwischen, das Haus zu verlassen. Wir wollen nämlich weder stundenlang warten noch zu spät kommen, vor allem als Trainer. Deswegen fragen wir bereits nach der "ghanaian or german time".

Für mich am schwierigsten ist es jedoch, wenn wir über (für mich) wichtige Termine, die in der Zukunft liegen, sprechen. Wenn wir uns mit unserem Projektleiter über bevorstehende Ereignisse wie z. B. Scouting-Ausflüge, Treffen mit dem Schuldirektor, Turniere oder Spiele austauschen, ist die Wahrscheinlichkeit in über 95% der Fälle hoch, dass das Besprochene nicht eintrifft. Und nun stellt euch vor, ihr unterhaltet euch über Themen auf die ihr euch freut, auf die ihr euch einstellt, nur um dann kurz vorher gesagt zu bekommen, dass der Termin verschoben oder abgesagt wird. (Fast) jedes Mal. So frustrierend für mich. Zumal führt es bei mir geradewegs dazu, dass es mir immer egaler wird, was die Leute mir erzählen. Natürlich weiß ich, dass auch das von mir kein förderliches und zielführendes Verhalten ist. Aber es nervt mich bislang ziemlich.

Einige von euch werden denken: "Ach, ist doch halb so wild" - und damit habt ihr vollkommen recht. Es ist überhaupt nicht schlimm. Ich trage keine Schäden davon, das Leben geht weiter und ist immer noch wunderschön. Für mich haben Worte jedoch Gewicht. Wenn ich dir sage, dass ich heute Abend zu dir komme - dann komme ich. Meistens zumindest. Und wenn nicht, dann melde ich mich kurz. Gleichzeitig schaffe ich es, mich genauso zu freuen, wenn etwas Verabredetes auch genauso eintrifft. Wenn du mir sagst, du kommst heute Abend und dann bist du auch wirklich da - wunderbar! Schön, dass du Zeit mit mir verbringen möchtest. Du schaffst es nicht? Gar kein Problem, welcher Grund auch immer - wir finden einen neuen Termin oder eben auch nicht. Und ich weiß, wir Deutschen (und natürlich auch ich) können uns in vielen Situationen mal gehörig entspannen. Ein Zuspätkommen oder eine nicht eingehaltene Verabredung ist nicht gleichbedeutend mit dem Weltuntergang, auch wenn es mir so antrainiert wurde und ich mich damit, zumindest bei für mich wichtigen Terminen, auch wohlfühle. Hier ist jedoch ein Großteil des Gesagten völlig unbedeutend. Und gerade in dem maximal anderen Extrem zu wandeln, lässt mich teilweise völlig in der Luft schweben.

Gleichzeitig umgibt die Gespräche eine aus meiner Sicht hohe Oberflächlichkeit. Viele sagen und erzählen mir vermutlich genau das, was ich hören möchte. Es kommt nie jemand auf die Idee, mir zu widersprechen oder "Nein" zu sagen. So zumindest mein Eindruck. Ich verstehe die Gründe für all das (glaube ich). Es geht um den Moment. In diesem Gespräch geht es darum, dem Gegenüber ein positives Gefühl zu vermitteln. Ein schöner Gedanke, wie ich finde. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass das auch anders funktioniert. Worte sind für mich nämlich nicht nur leere Worthülsen, um den Moment auszukosten, sondern die Möglichkeit, sein Leben mit seinen Mitmenschen so zu gestalten, dass Ehrlichkeit, Authentizität und eine langfristige Bindung entstehen kann. Von mir aus zum Preis mal den Moment zu versauen oder für einige der Buh-Mann zu sein. Daraus können meiner Erfahrung nach jedoch intensive, verbindende und liebevolle Momente mit Menschen, mit denen ich mich auch wahrhaftig umgeben möchte, entstehen. Natürlich bin ich zu kurz hier und maße mir auch nicht an die eben hier vorherrschende Kommunikationsform zu verurteilen. Ich erkläre meine Sichtweise so ausführlich um für euch greifbar zu machen, wieso ich mit dieser hier gelebten Art der Kommunikation momentan meine Schwierigkeiten habe.


Ernährung

Ich glaube, wir alle wissen, wie wichtig eine gesunde und ausgewogene Ernährung für das Wohlbefinden ist. Sowohl für die Vitalität und Leistungskraft des Körpers, aber auch für die mentale Gesundheit. Gleichzeitig stehen Körper und Geist in einer Wechselbeziehung zueinander, bedingen sich also gegenseitig. Geht's dem Körper nicht gut, leidet meistens die Psyche darunter, und andersherum. Das wird kein wissenschaftlicher Artikel, aber so viel habe ich verstanden und spüre ich immer wieder. So auch hier. Das Essen, welches uns serviert wird, ist oft sehr einseitig und wenig abwechslungsreich. Gleichzeitig sind die Nährstoffe mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in einigen Bereichen nicht ausreichend, um meinen empfohlenen Tagesbedarf an Proteinen, Magnesium, Calcium etc. zu decken. Erschwerend kommt hinzu, dass mein Körper generell Probleme hat, die Nahrung angemessen zu verdauen. Somit gehen häufig die sowieso schon geringen Mengen an Nährstoffen völlig flöten. Und was soll ich euch sagen... ich merke es. Vermutlich hatten wir die letzten Tage zusätzlich eine kleine Lebensmittelvergiftung, da wir alle die selben Symptome in unterschiedlichen Ausprägungen aufwiesen. Durchfall, Schüttelfrost, Gliederschmerzen, Kopfschmerzen. Mein Körper war in den letzten Tagen völlig erschöpft. Dabei setzen wir ihn die meiste Zeit keiner besonderen Anstrengung aus. Diese Erschöpftheit legt sich selbstverständlich auch auf das Gemüt, es ist alles schwerfälliger und anstrengender, da der Körper dem Gehirn vermutlich flüstert: "Spare lieber deine Energie". Lethargie setzt ein. Das kann zu einem Teufelskreis führen.


Gedanken an zu Hause und Vergleiche

Ich gestehe offen und ehrlich: Es verging bislang kein Tag, an dem ich nicht an mein Zuhause und meine dortigen Privilegien gedacht habe. Und irgendwie ist es auch schön, weil ich einen ganz anderen Blickwinkel auf vieles bekomme, aber meistens ist es vermutlich schädlich, da es mir vor allem in Situationen passiert, bei denen ich mich "zurücksehne". Dabei verliere ich den gegenwärtigen Moment völlig aus den Augen und schwebe in der Vergangenheit oder Zukunft. Das reißt eine innere Spannung in mir auf, die die Situation eher noch schwieriger erscheinen lässt, als sie tatsächlich ist. Ich habe mich schon an vieles gewöhnt, jedoch durch mein Wissen, beispielsweise welche Verfügbarkeit wir an Nahrungsmitteln in Deutschland haben oder welch wunderbaren Matratzen wir teilweise für selbstverständlich erachten, lassen mich nach dem Schlaf, bei dem ich jedes zweite Holzbrett gespürt habe, oder bei dem Mittagessen, welches uns zum Dritten mal serviert wurde, völlig automatisch mit den Gedanken nach Hause fliegen.

Auch der Vergleich mit anderen Volunteers, mit denen wir gemeinsam die Vorbereitungsseminare absolviert haben und mit denen sich Max und Samu über Instagram connected haben, lassen als Beispiel unsere Wohnsituation komplett im Schatten stehen. Dort, Roomtouren zu sehen, wie diese Einzelzimmer mit Top-Betten, Kochinsel, Wohnzimmer und modernen Badezimmern haben, lässt in mir ab und zu eine Frage hochkommen, die mir vor meinem Abflug hierhin auch eine Freundin gestellt hat: "Warum machst du es dir so schwer?" Die selbe Frage habe ich tausende Male von meiner Mutter in den verschiedensten Bereichen zu hören bekommen. Und ich glaube, ich kenne die Antwort darauf, aber ich möchte es weiterhin herausfinden. Ich glaube und hoffe zum Ende dieser Reise vielleicht auch euch eine Antwort zu geben.


Meine Einordnung

So, nun ist es mir ein Anliegen, die angesprochenen Herausforderungen nochmal einzuordnen. Diese stellen für mich gerade wahrhaftige Hürden dar, die mich momentan nicht den offenen, energiegeladenen und engagierten Justin sein lassen, den ich vor meiner Abreise sehr zu schätzen wusste. Ich weiß mich immer noch zu schätzen, keine Sorge. Trotzdem frage ich mich häufig: "Wo ist er hin?", "Kommt er jemals wieder?". Und ich bin mir sicher: Er ist noch da und wird auch wiederkommen. Momentan gilt es für mich aber erst, an mir und meiner Situation zu arbeiten, um ihn möglicherweise wiederzufinden. Ja, ich höre schon auf, über mich in der Dritten Person zu schreiben. Ich bin weiterhin dankbar, ein Dach über den Kopf zu haben und ausreichend Essen und Wasser zu bekommen. Auch hier leben wir ein sehr privilegiertes Leben für die meisten Menschen. Viele können nur von einem eigenen Bett, Koch- und Wäscheservice träumen. Wir dürfen es leben. Trotzdem geht es mir nicht gut. Das hat auch seine Berechtigung, da ich völlig anders geprägt und aufgewachsen bin. Trotzdem weiß ich, dass ich die Kirche im Dorf lassen und vor allem meine jetzige Realität mehr annehmen und ins Auge fassen muss. Dabei helfen sicherlich keine Vergleiche mit anderen, dem Zuhause oder dem hadern mit der Kultur - dann hätte ich nämlich auch zu Hause bleiben können. Mir ist bewusst, dass das gerade (hoffentlich) eine Phase ist, die vor allem nach der aufregenden, alles ist neu Phase einsetzt. Die Realisationsphase ist für mich gerade sehr herausfordernd. Ist das eine Überraschung? Keineswegs. Ist es trotzdem anstrengend? Unfassbar! Nun gilt es, Schritt für Schritt Fortschritte zu erzielen und sich zurückzukämpfen. Dabei werde ich jedoch versuchen nicht zu hart zu mir zu sein, Rückschläge hinzunehmen und einfach weiterzumachen. Ich stande schon einigen Challenges gegenüber, habe vieles geschafft und werde auch hier alles geben um dem Leben wieder voller Freude und Glückseligkeit gegenüberzustehen. Das Leben ist für mich nämlich ein Geschenk und genauso möchte ich es behandeln. Es liegt zu großen Teilen nur an mir.


Aussichten

Wir haben mit unserem Projektleiter über das Essen gesprochen und werden in Zukunft hoffentlich nur noch frisches Essen und keinen Fisch mehr bekommen, da wir glauben, dass das Risikofaktoren für unseren Magen sind. Gleichzeitig versorgen wir uns selbst vermehrt mit Früchten und Nüssen vom Markt. In der Hoffnung, unseren Körper wieder auf Vordermann zu kriegen. Generell werde ich auch mehr auf meinen Körper hören. Einmal habe ich das nämlich nicht gemacht, habe angeschlagen bei einem Fußballspiel mitgespielt und daraufhin die Retourkutsche bekommen. Meine Gesundheit wieder in den Vordergrund zu stellen, wird ein Grundpfeiler sein, um wieder zu alter Stärke zu finden.

 

Außerdem wurden wir von der deutschen Botschaft in die Hauptstadt zu einem Kennenlern-Treffen mit anderen deutschen Volunteers eingeladen. Dem werden wir mit Wohlwollen folgen und verbinden das mit einem dreitägigen Hotelaufenthalt, in dem uns sogar ein Pool mit Bar, Hängematten und moderne Hotelzimmer erwarten. Ein großer Lichtblick, um auch einfach mal für einen Moment "Urlaub" zu machen, rauszukommen und wieder Energie zu tanken. Anschließend fahren wir über die Nacht durchs halbe Land, da unser Mentor Chris uns zur Beerdigung seiner kürzlich verstorbenen Mutter eingeladen hat. Dort werden wir dann das Wochenende verbringen. Ich freue mich darauf, die anderen Freiwilligen (aus dem Blogeintrag "Abflug und Ankunft") wiederzutreffen, sich auszutauschen und aus dem Alltag mal entfliehen zu können.
[Update 15.09.24: All diese Vorhaben sind für mich ins Wasser gefallen. Ich verspürte in der Nacht zum geplanten Aufbruchstag, den 11.09, heftige Bauchschmerzen, die sich ausgiebig auf der Toilette ausleben wollten. Ich erspare Einzelheiten. Dazu gesellten sich wiedermal Gliederschmerzen und allgemeines Unwohlsein. Als dann noch Erbrechen einsetzte, wurde mein Körper von jeglichen Flüssigkeiten befreit. Es war wirklich maximal unangenehm. Durch meine starke Dehydrierung und der Frage, was nun wieder los ist, trat ich meinen Weg in ein naheglegendes Krankenhaus an. Dort wurde ich mehrere Stunden mit Infusionen wieder aufgepeppelt. Mit der Diagnose Malaria und etlichen Medikamenten in Form von Tabletten hieß es für mich Bettruhe. In den darauffolgenden Tagen machte ich sämtliche Stimmungsschwankungen mit: Von "Ich bin so froh, dass es mir besser geht" zu "Ich will nur noch den Heimflug antreten" war in verschiedenen Episoden alles dabei. So eine Erkrankung kommt nie zu einem passenden Moment, aber das war wahrhaftig ein niederschmettender Zeitpunkt. Anstatt das oben beschriebene erleben zu dürfen, lag ich vier Tage in der Waagerechten. Das waren bislang (und werden hoffentlich für eine lange Zeit) die mental und körperlich anstrengendsten Tage für mich. Hier könnte jetzt ein Stammtisch-Spruch passen: Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker. Wenn das so weiter geht, bin ich nach diesem Jahr der stärkste Mann der Welt.]

 

Das Thema Schule wird hier genauso abgehandelt wie oben beschrieben. Wir sollten den Schuldirektor letzte Woche schon zweimal getroffen haben. Und auch heute (09.09), wo die Schule offiziell wieder startet, steht ein Treffen an. Fakt ist, ich habe die Schule noch nie gesehen oder betreten. Ich bin gespannt, ob ich diesen Mann jemals treffen werde. Ich denke und hoffe nach unserem kleinen Trip. Dann werde ich natürlich berichten.

 

Den "BVB-Koffer" habe ich bislang noch nicht ausgepackt, da einige Spieler noch in den Ferien waren. Außerdem haben wir drei uns extra für dieses Abenteuer eine gute Kamera zugelegt, mit der ich diese Momente festhalten möchte. Leider ist das Akkuladegerät verschwunden und nun müssen wir uns erst um einen Ersatz kümmern. Wenn alles ready ist, wird's auf jeden Fall Zeit!

 

Ich hoffe, dieser etwas trockenere Eintrag war für euch ebenfalls interessant - das gehört nämlich auch zu meiner momentanen Wahrheit. Ich glaube und hoffe, ich kann euch bald wieder mit spannenden Bildern und Geschichten versorgen. Bis bald!

 

Ich werde übrigens versuchen (vielleicht auch noch rückwirkend) einen passenden Song unter jeden Blogeintrag einzubauen. Musik ist mein ständiger Begleiter, schon mein ganzes Leben. Damit kann ich Emotionen und Gefühle in mir sichtbarer machen und in andere Welten abtauchen. Manchmal passt sie für mich auch einfach. Ich versuch's einfach mal.

 

Steh auf, wenn du am Boden bist - Die Toten Hosen

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Kommentare

Bianca Fehse
Vor 8 Monate

Hab Vertrauen in Dich und deine Stärke.
Du hast schon so viel
Überstanden und geschafft.
Sei sicher ,dass du auch alles,
was noch kommt,
schaffen wirst.
Du bist stark und fähig, alles zu meistern.
Auch wirst du mit jeder neuen Herausforderung weiter wachsen ! ❤️‼️😬👍

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