Es gilt eine richtungsweisende Entscheidung zu treffen.

Worum geht's?
Wie bereits angekündigt gibt es Neuigkeiten, die gravierende Folgen für meinen gesamten Freiwilligendienst bedeuten. Ich habe nämlich eine Entscheidung getroffen, die getroffen werden musste und sich aufgedrängt hat. Ich habe diese einige Zeit aufgeschoben, versucht zu umgehen und nicht wahr haben zu wollen. Jedoch war es für mich derart bedeutsam, dass ich mich wieder nur in die eigene Ruhe begeben musste, um die volle Wucht meiner Intuition zu spüren, die mich ohne zu übetreiben, überwältigt hat. Als das passierte, setzte Schmerz, Scham, Traurigkeit aber vor allem Erleichterung ein. Manchmal bin ich überfordert all diese Gefühle und Emotionen zuzuordnen und für mein Leben zu "übersetzen", also was sie mir sagen wollen. Dieses mal konnte ich jedoch für einen kleinen Moment so klar sehen wie schon lange nicht mehr. Es war nur wahnsinnig schmerzhaft und hat mich innerlich fast zerrissen, es zuzulassen. Ich hab's jedoch geschafft und bin zu folgender Erkenntnis gelangt:
Ich werde meinen Freiwilligendienst vorzeitig beenden.
Für den einen oder anderen ist das vielleicht keine große Überraschung. Für mich war es das auf jeden Fall. Ich habe nämlich wie beschrieben, jegliche Hürden aufgebaut, um eben bloß nicht zu diesem Punkt zu gelangen. Aber langsam...
Wie kam es dazu?
Samu, Max und ich sind für einige Zeit in den Urlaub gefahren. Dabei waren wir ein paar Tage in der Hauptstadt und sind anschließend an die Küste gefahren, wo wir zwei traumhafte Örtchen, mit Unterkunft am Strand, besucht haben. Im Vorhinein war dieser Trip geplant, um "die Batterien wieder aufzuladen". Ich glaube viele kennen diese Art von Urlaub. Man arbeitet wochen- oder sogar monatelang, fühlt sich ausgelaugt, ist urlaubsreif und möchte fernab von Alltag und Arbeit neue Energie sammeln. Obwohl ich das für meine Zukunft auch mehr als fragwürdig halte. Wieso sollte ich einer Beschäftigung nachgehen, die mir so viel Energie "raubt", anstatt zu geben, dass ich "gezwungen" bin meine Akkus an einem anderen Ort, als meinen Wohnort, an dem ich die meiste Zeit meines Lebens verbringe, aufzuladen? Im Nachhinein natürlich schon ein kleines Indiz, aber das nur am Rande. Jedenfalls sollte das diese Art von Urlaub werden. Und es war anfangs auch umwerfend wieder Komfort und gewisse Standards genießen zu dürfen. Dies hielt jedoch nicht lange an. Ich war irgendwann wieder in eine Art "Trott", bei dem ich mit einem mäßigen Energie- und Motivationslevel durch den Tag spazierte. Wie ist das möglich? Klar, in den letzten Wochen lief nicht alles rosig, aber jetzt bin ich doch im Urlaub. Ich habe Palmen, Meer und die Sonne um mich herum. Ich will doch Energie tanken und voller Freude sein. Aber wieso funktioniert das nicht? Ich wusste es nicht. Aber beließ es auch dabei. Ich meine, diese eben nur mäßige Lebensfreude kenne ich ja bereits aus den letzten Monaten. Dann ist das wohl eben so. Hier in Ghana. Für 12 Monate. Tag ein, Tag aus. Gehört anscheinend dazu bei so einem Freiwilligendienst. Selbst im Urlaub. Es geht ja auch nicht um mich. Dann bin ich nun eben so. Das wird schon wieder.
PUSTEKUCHEN! Es ist schon ein wenig erschreckend diese Zeilen gerade niederzuschreiben, aber das waren wahrhaftig meine Gedankengänge. Würde ich diese Zeilen vor meiner Reise gesehen haben, hätte ich mir wahrscheinlich eine reingehauen. Es ist so traurig mit anzusehen und selbst zu erleben wie schnell ich in so eine Spirale gekommen bin und es vollkommen akzeptiert habe. Dabei habe ich mich teilweise völlig aus den Augen verloren.
Ich spüre natürlich jeden Tag in mir eine Unzufriedenheit und Lethargie, die ich bereits mal angesprochen habe im Blogeintrag "Anfängliche Herausforderungen". Also unterbewusst merke ich die ganze Zeit, dass etwas nicht stimmt. Ich weiß eben nur nicht was... Eines schönen Tages setzte ich mich, wie in einem klischeebehafteten Film, abgeschieden auf einem Baumstamm am Meer (1 zu 1 wieder der Mann oben auf dem Bild) und ließ meine Gedanken schweifen. Die Wellen rauschen, eine sanfte Briese, keine Ablenkungen, nur der Horizont und ich. Ich bin schon jetzt den Tränen nah. (Aber warum???) Auf einmal packt es mich ganz ganz tief von innen. Es überkommt mich. Es war wirklich eine tiefe Zerrissenheit in mir, die sich entladen hat. Dabei kam so viel auf einmal, dass es mir schwer fällt es in Worte zu fassen. Zwei Komponenten waren aber dominant: Schmerz und Befreiung. In diesem Augenblick habe ich das erste mal zugelassen, mir wohlmöglich einzugestehen, dass ich an meine Grenzen gekommen bin. Mit allem. Mit meinem gesamten Vorhaben. Was für eine scheiß Erkenntnis dachte ich mir (witzelnd). Aber wieso fühlt sich das so gut an?
Am nächsten Tag bin ich nach dem Frühstück zu einem Yoga-Areal gegangen und wollte sowohl meinen Körper dehnen als auch im Geist wieder zu etwas Ruhe finden. Nach 10 Minuten bin ich ohne Grund wieder in Tränen ausgebrochen. Das kann doch nicht wahr sein. Kann ich nicht einfach abschalten und "Urlaub machen"? Ach ja, da war ja was. Es schien ernst zu sein. Ich beschloss mir von Freunden, von denen ich glaubte, dass sie entweder mein "wahres" Ich kannten oder in ähnlichen Situationen im Ausland waren, eine unabhängige zweite, dritte und vierte Meinung einzuholen. Gleichzeitig war es mir wichtig, dass mir niemand versucht meine Entscheidung abzunehmen und mir bspw. sagt "komm nach Hause". Also führte ich stundenlang Gespräche, wofür ich unfassbar dankbar bin, nur um für mich herauszufinden: Du hast die Entscheidung schon längst getroffen. Gestern auf dem Baumstamm. Ich wollte es wieder wegwischen und runterspielen. Dann aber mit voller Überzeugung zu Max und Samu zu gehen und ihnen meine Entscheidung mitzuteilen, die für sie im ersten Moment aus heiterem Himmel kam, tat so unfassbar gut. Ich war auf einmal so voller Positivität und Energie. Ich war für wenige Minuten zu alter Stärke zurückgekehrt. Alleine das, hat mich wahnsinnig bestärkt und wurde mir von den Jungs auch gespiegelt. Geil, ich habs wieder gefunden!
Vor dem Urlaub hätte ich nie gedacht, dass ich mit dieser Entscheidung und den Konsequenzen zurückkehren werde. Batterien aufladen mal anders...
die mutmaßlichen Gründe
All das, was ich zu diesem Zeitpunkt zu den Gründen schreibe ist logischerweise subjektiv und auch noch nicht mit Abstand reflektiert, sondern aus meinen ersten Gedanken nach meiner Entscheidung entstanden.
Zu dem Blogeintrag "Anfängliche Herausforderungen" gesellen sich vermutlich weitere Aspekte, die mich in diese Situation befördert haben. Vieles habe ich mir lange nicht eingestanden und beiseite geschoben. Ich glaube um einen gesunden Umgang mit der hier augenscheinlichen Armut und scheinbarer Perspektivlosigkeit vieler Menschen zu pflegen, darf man vieles nicht zu sehr an sich heranlassen. Dabei meine ich nicht, wegzugucken und all das auszublenden, sondern es einfach so hinzunehmen wie es ist und sich dabei selbst nur in einem gesunden Maß für mögliches scheinbares Leid verantwortlich zu fühlen. Beispiel: Du siehst Kinderarbeit im Bereich Mode und hinterfragst deinen eigenen Konsum von Klamotten. Super sinnvoll meiner Meinung nach. Ich habe es jedoch nicht geschafft eine klare emotionale Trennung von meinem Ich und den Umständen zu ziehen. Oft kreist die Frage in meinem Kopf, die mir keiner beantworten kann, wieso ich das unfassbare "Glück", oder wie man es benennen möchte, habe, in meinem Umfeld geboren und aufgewachsen zu sein. Als Folge davon kam vermutlich aus Selbstschutz eine gewisse emotionale Kälte zum Vorschein. Ich wollte nicht mehr viel an mich heranlassen und habe angefangen wegzugucken, kalt und rational zu werden. Gleichzeitig schaffte ich es auch nicht mehr mich die vielen positiven und schönen Momente vollends wahrzunehmen, die mit Sicherheit überall auf der Welt auf einen lauern. Einzig wenn Extremsituationen wie aus dem vorherigen Blogeintrag "Gewalt in der Schule" auftauchten bekam ich emotionale Ausreißer. Ansonsten sah ich vieles grau, eintönig und wie durch einen Schleier. Meine Motivation oftmals morgens aus dem Bett zu steigen, war nie besonders hoch. Zumindest nicht so wie ich es sonst von mir gewohnt bin, wenn ich einfach Bock auf den Tag und mein Leben habe.
Zusätzlich habe ich kein wirkliches Ventil oder einen Ausgleich gefunden, bei dem ich all das vielleicht besser verarbeiten konnte. Ich konnte nie richtig abschalten, meinen Geist zur Ruhe bekommen und Energie tanken. Meistens fühlte ich mich überall fremd, was irgendwie auch Sinn macht, aber ich hatte fast zu keinem Zeitpunkt das Gefühl am richtigen Ort zu sein. Ich habe auf jeden Fall den Hang, mir über alles und jeden viel zu viele Gedanken zu machen, was sehr anstrengend sein kann. Dabei aber sowohl die Außen- als auch die Innenwelt als herausfordernd wahrzunehmen und vieles nicht einordnen zu können, hat mich oft runtergezogen. Ich konnte einfach nicht sein. Ich war nur mit mir und der Außenwelt beschäftigt. Das nun größtenteils über 14 Wochen zu spüren, nagt an der Substanz. Über so einen Zeitraum ist es auch keine Eintagsfliege mehr, sondern viel tiefliegender.
Meine Einordnung
Es war, wie beschrieben, so unfassbar anstrengend überhaupt an diesen Punkt gekommen zu sein und sich einzugestehen "hier ist jetzt schluss". Das habe ich von mir aus bis jetzt noch nie gesagt und habe alles "durchgezogen". Ich glaube dadurch hat sich mein Ego auch ein wenig definiert. Dann aber sich Schwäche einzugestehen und ein im Vorhinhein angepriesenes "Herzensprojekt" einzustampfen, passte so gar nicht in meine Vorstellung. Gerade deswegen gab es einige Barrieren zu überwinden. Ich habe mir beispielsweise unterbewusst eingeredet, dass ich von meinem Privileg (nach Hause zu fliegen) keinen Gebrauch machen dürfe, da die Leute hier teilweise auch keine Wahl haben. Es ist leicht erschreckend zu sehen, was der Verstand einem für Streiche spielen kann, nur um einen Schein oder eine Vorstellung, wie man selbst zu sein hat, zu wahren.
Dabei war es viel wichtiger wiedermal auf mich zu hören und den Verstand beiseite zu lassen. Ich erkannte mich nämlich in so vielen Situation nicht mehr wieder und hatte das Gefühl mich zu verlieren. Es deuteten einfach viel zu viele Zeichen in eine Richtung. Ich habe versucht es lange hinauszuzögern und wollte auch das Projekt nochmal wechseln um eine Art "Neustart" zu wagen. Das war schon mit der Organisation abgesprochen und sollte zur Halbzeit (Februar) passieren. Außerdem wollte mich ein sehr guter Freund im Januar für zwei Wochen besuchen. Der Urlaub über Weihnachten und Neujahr war auch schon geplant und gebucht. Ich wollte also eine Art Staffellauf bauen, an dem ich mich entlanghangeln kann. Aber zu welchem Preis? Ich bin extrem froh und fühle mich so unfassbar erleichtert all dem zuvorgekommen zu sein und alleine das zeigt mir, dass ich nicht ganz falsch liegen kann.
Natürlich wird es vermutlich ein extrem lachendes, aber auch weinendes Auge geben, wenn ich gehe. Den Kindern nämlich zu erklären, dass ich jetzt schon gehe, wird nicht einfach. Ich bin ja nämlich auch für die Kinder und meine Aufgaben hierher gekommen. Meine Gedanken drehen sich jetzt vor allem um einen schönen Abschied für meine Weggefährten, aber auch für mich zu gestalten. Ein paar Ideen gibts, die sicherlich in einem eigenen Eintrag auftauchen werden.
Wie geht es weiter?
Ich habe nun alle Schritte in die Wege geleitet, die mich wieder nach Hause befördern. Meine Entsendeorganisation informiert, mit Ärzten, Psychologen und meiner Krankenversicherung gesprochen. Alle bescheinigen mir eine Art Überbelastung und raten mir, wie vermutet, den Heimweg anzutreten. Zu diesem Zeitpunkt warte ich auf ein Rücklfugdatum, der voraussichtlich innerhalb der nächsten zwei Wochen feststehen wird. Gleichzeitig bereite ich meinen Abschied aus Schule und der Akademie vor. Zum Abschied habe ich noch ein paar Ideen und werde dazu vermutlich einen eigenen Eintrag anfertigen. Anschließend heißt es für mich zuhause wieder anzukommen, vieles zu verarbeiten und zu reflektieren, um dann aber auch wieder zu mir zu finden um mich wieder voller Lebensfreude einen neuen Lebensabschnitt zu widmen. Was das sein wird, weiß ich jetzt noch nicht, genießt aber auch noch überhaupt keine Priorität, sondern zu aller erst stelle ich mich und meine Heimkehr, auf verschiedenen Ebenen, in den Vordergrund. Das Leben ist verrückt.
Ich+Ich, Adel Tawil
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"... Ich wär gern besser als ich bin
ist nicht schlimm, ich kriegs nicht hin..."
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